Heldenreise

Das Konzept der Heldenreise basiert auf der vergleichenden Mythenforschung des amerikanischen Professors und Autors Joseph Campbell, der seine Erkenntnisse erstmals in dem 1949 erschienenen Werk „Der Heros in tausend Gestalten“ (OT: The Heros with a Thousand Faces) veröffentlichte. Er untersuchte die Ähnlichkeiten zahlreicher Mythologien und fand in diesen ebenso wie in Erzählungen, Märchen und Träumen übereinstimmende Elemente. Er erkannte, beschrieb und strukturiere diese Elemente und bestimmte so die Prinzipien des Monomythos, der Reise des Helden, die in den unterschiedlichsten Variationen den Geschichten nahezu aller Kulturen zugrundeliegen: „Die Reise des Helden ist ein unglaublich beständiger Satz von Bauelementen, die aus den tiefsten Abgründen des menschlichen Geistes immer wieder neu entstehen, in jeder Kultur anders ausgestaltet und doch im Grunde immer gleich.“1

 

Diese Auffassung gleicht der des Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung, dessen Archetypen autonome Urbilder, Charaktere oder Kräfte sind, die in den Träumen aller Menschen und Mythen sämtlicher Kulturen fortwährend erscheinen: Träume genauso wie Mythen werden aus einer tieferen Quelle, dem kollektiven Unbewussten der Menschheit (einer Art Menschheitsgedächtnis), gespeist.2 Auch für den Psychoanalytiker und Märchenforscher Bruno Bettelheim sind Mythen und Märchen „in großem Maß das Ergebnis allgemeiner bewusster und unbewusster Inhalte, geformt vom Bewusstsein nicht eines bestimmten Menschen, sondern vieler Menschen, die darin übereinstimmen, was sie als universelle menschliche Probleme und als wünschenswerte Lösung ansehen.“3 Solch universelle Probleme sind etwa die Übergänge von einem Lebensabschnitt (Geburt, Kindheit, Adoleszenz, Beruf, Hochzeit, Tod) zum anderen. Um die Schwelle zu überwinden, ist ein Initiations- bzw. Übergangsritus notwendig, der in vielen Mythen und Märchen symbolischen Ausdruck findet.4 Während diesem Ritus widerfährt dem alten, unzulänglich gewordenen Selbst ein symbolischer Tod, auf den eine Wiedergeburt auf einer höheren Daseinsebene folgt. Campbell greift diesen Prozess in seiner Dreiteilung – Trennung, Initiation, Wiederkehr – als einheitlichen Kern der Heldenreise auf.5 Die Trennung ist gleichbedeutend mit dem Aufbruch des Helden aus seinem Alltag und gewohnten Umfeld. Passiert er die Schwelle zum Abenteuer folgt die Initiation, eine Zeit der Proben und Lernaufgaben, bis hin zur entscheidenden Prüfung des höchsten Gottesgerichts, nach deren Bestehen er eine Belohnung erhält. Im Rahmen der Wiederkehr können weitere Konfrontationen stattfinden, ehe der Held als neuer Mensch und Gabenbringer in die gewohnte Welt zurückkehrt.6

 

Daraus ergibt sich die Bedeutung und Wirkung von Geschichten, die dem Modell der Reise des Helden nachgebildet sind: Von ihnen geht eine psychologische Stimmigkeit aus, die alle Menschen nachvollziehen können, weil sie dem kollektiven Unbewussten entspringt und uni-verselle Befindlichkeiten widerspiegelt.7 Der Lern- und Reifeprozess des Helden, ob in Mythen, Märchen oder sonstigen Erzählungen, bietet Hilfestellungen und Wegweiser für menschliche Probleme, an denen sich der Leser orientieren und aus denen er für sein eigenes Leben Nutzen ziehen kann.

 

„Der Heros in tausend Gestalten“ hat viele Autoren und Filmemacher inspiriert, ihre Geschichten nach diesem Muster zu entwickeln. Der amerikanische Drehbuchautor und Publizist Christopher Vogler hat als einer der Ersten die Bedeutung der Heldenreise für erfolgreiche Geschichten erkannt und in seinem Buch „Die Odyssee des Drehbuchschreibers“ (OT: The Writer's Journey) für einen größeren Kreis zugänglich gemacht. Die anschließende Zusammenfassung des Verlaufs der Heldenreise folgt dem Muster Voglers, der die Dreiteilung der Reise Campbells beibehielt, jedoch die Anzahl der Stationen von 18 auf 12 reduzierte.

 

1 Vogler 2018, S. 42.

2 Vgl. ebd., S. 42-43.

3 Bettelheim 2013, S. 45.

4 Vgl. ebd., S. 44.

5 Vgl. Campbell 2011, S. 42.

6 Vgl. ebd., S. 264-265.

7 Vgl. Vogler 2018, S. 43.

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